Ein Gold-Badge-Schiedsrichter aus Stuttgart
Nico Helwerth ist einer von 30 Gold-Badge-Schiedsrichtern weltweit. Im Interview mit dem WTB erzählt er von seiner Geschichte.
Vor einigen Jahren haben wir Nico Helwerth schon einmal für den WTB-Blog interviewt wo er über seinen Weg vom Ballkind zu den Australian Open gesprochen hat. Vier Jahre später wollten wir wissen, was in der Zwischenzeit alles passiert ist und welche Ziele er sich als Schiedsrichter noch gesetzt hat – denn gefühlt hat er alles erreicht was man als (deutscher) Schiedsrichter erreichen kann.
Nico, du warst im vergangenen Januar wieder bei den Australian Open zu sehen. Was kannst du uns berichten?
Ich bin jedes Jahr circa 17 Wochen als Schiedsrichter unterwegs. Da ich im Sommer Vater geworden bin und sich die Gelegenheit ergeben hat das meine Familie dabei sein konnte, war es ein ganz besonderes Turnier für mich. Seit meine Tochter auf der Welt ist, möchte ich jede Minute mit ihr verbringen, aber die Tage bei den Grand Slams sind lang und man hat im Regelfall zwei Matches pro Tag die – je nach Begegnung – unterschiedlich lang sind. Hinzu kommt die lange Reise… es ist also ein bisschen Segen und Fluch zugleich.
Das hält dich aber nicht davon ab weiterhin als Schiedsrichter zu arbeiten?
Absolut nicht. Es ist mein Traumberuf und ich habe wirklich sehr viel Glück gehabt. Zum einen weil meine Frau mich voll und ganz unterstützt und zum anderen weil ich im Hinblick auf meine Schiedsrichterkarriere häufig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Ich würde mit nichts auf der Welt tauschen wollen.
Wie meinst du das genau „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“?
Als Schiedsrichter kann man keine Abkürzung gehen. Jeder muss einen gewissen Prozess durchlaufen und Meilensteine erreichen. Hier war ich sehr privilegiert, weil ich zur richtigen Zeit die richtigen Turniere geschiedst habe, dort die richtigen Leute getroffen habe, um dann meinem Ziel – den Grand Slams – immer näher zu kommen. Sehr geholfen hat mir dabei die Anfangsphase beim WTB und DTB, wo ich mich ohne Druck und mit sehr viel Unterstützung langsam etablieren konnte, um mich dann später an größere Turniere zu wagen. Was dann noch dazu kam, war ein Generationenwechsel, in dem Plätze frei wurden, die normalerweise nicht so schnell eingenommen werden können.
Welche Vorteile hat man als Schiedsrichter?
Zum einen ist mein Kalender relativ absehbar, weil die Termine oft gleich sind. Das gibt mir eine gewisse Planungssicherheit und die Möglichkeit auch andere Projekte wahrzunehmen. Ich arbeite beispielsweise zusätzlich als Unternehmensberater und bin ehrenamtlich als Präsident beim MTV in Stuttgart aktiv.
„Als Schiedsrichter muss man schnell Entscheidungen treffen und Wege finden, wie man Lösungen schafft. Das hat mich persönlich und in meinem Privatleben unheimlich weitergebracht.“
Was reizt dich am Beruf des Schiedsrichters an sich?
Für mich gibt es dabei zwei entscheidende Aspekte. Zum einen hat man – ohne selber (erfolgreicher) Spieler zu sein – trotzdem die Möglichkeit bei größeren Turnieren oder sogar Grand Slams dabei zu sein. Man ist also mitten drin und bekommt alles hautnah mit. Es macht mich stolz Teil eines großen Ganzen zu sein. Im Hinblick auf die Arbeit an sich reizt mich das Entwicklungspotenzial: Als Schiedsrichter muss man schnell Entscheidungen treffen und Wege finden, wie man Lösungen schafft. Das hat mich persönlich und in meinem Privatleben unheimlich weitergebracht. Zudem bereitet es mir sehr viel Freude mit den Turnieren auf höchsten Niveau mitzuwirken.
Was zeichnet aus deiner Sicht einen Schiedsrichter aus?
Die Aufgabe eines Schiedsrichters ist es, Regeln für alle gleich auszulegen. Wenn man das schafft, ist man gut. Als Schiedsrichter braucht man ein gesundes Selbstbewusstsein, das kommt dann aber auch mit der Tätigkeit an sich. Ganz wichtig ist sich klar zu machen, dass man nicht selbst im Rampenlicht steht, man muss sich zurücknehmen können und mit Kritik klarkommen, denn wir alle sind Menschen und machen auch mal Fehler, diese gilt es auf ein Minimum zu reduzieren.
„Schiedsrichter sind nicht dafür da Leute glücklich zu machen, sondern Regeln einzuhalten und für ein faires Wettspiel zu sorgen.“
Kannst du hier ein Beispiel nennen?
Ja, solche Situationen vergisst man nie. Das war das Finale bei den US OPEN im Jahr 2022 Casper Ruud gegen Carlos Alcaraz. Ich habe eine Fehlentscheidung getroffen, aber die Situation hat sich sehr schnell entspannt, da Casper Ruud den „double bounce“ direkt zugegeben hat. Das war natürlich ein außergewöhnliches Fair Play von dem Norweger, wovon ich letztendlich profitiert hatte.
Nach welchen Kriterien werden die Schiedsrichter:innen für die Finalspiele ausgewählt?
Ein Kriterium kann ich leider nicht beeinflussen: Wenn zum Beispiel Alexander Zverev im Finale steht, kann ich als deutscher Schiedsrichter logischerweise nicht antreten. Einigen spanischen oder schweizer Kollegen ging es jahrelang so, dass sie dieses Ziel nicht erreichen konnten in der Nadal oder Federer Ära.
Wie wird man als Schiedsrichter ausgewählt bei einem Grand Slam zu schiedsen oder nicht?
Insgesamt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man bewirbt sich – die Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Zertifizierung – oder man ist Mitglied des ITF/Grand Slam Teams gesetzt. Bei der ersten Option prüft das Turnier im Vorfeld welcher Bedarf besteht. Das Kriterium dabei ist eine „gute Mischung“ an allen Nationalitäten sowie weiblichen und männlichen Schiedsrichtern. Bei mir ist es so, dass ich gesetzt bin, das heißt ich muss den Bewerbungsprozess nicht mehr durchlaufen.
Was genau bedeutet es als Schiedsrichter „gesetzt“ zu sein?
Ich bin Teil des offiziellen Profiteams der ITF, bei der einige der weltweit 30 Gold-Badge- Schiedsrichter:innen unter Vertrag stehen.
Du hast fast alles erreicht was man sich als Schiedsrichter wünschen kann – oder gibt es doch noch ein Ziel, dass du dir gesetzt hast?
Ja klar, ich denke, dass es immer noch etwas zum „oben draufsetzen“ gibt. Mein persönliches Ziel ist es den „Karriereslam“ zu schaffen - sprich bei allen Grand Slams einmal im Einzelfinale zu schiedsen. Wenn es klappt, dann könnte es dieses Jahr in Wimbledon schon so weit sein.
Worauf freust du dich in diesem Jahr am meisten?
Dass ich während meinem Einsatz als Schiedsrichter bei den BOSS OPEN im eigenen Bett schlafen kann ;-)