Von der Erfahrung des Partners profitiert
Tennis: Luca Steen vom TC Herrenberg und Niklas Köhler von der TA SV Böblingen waren im November bei den Deaflympics in Tokio am Start – und sind mit einer Silbermedaille im Doppel zurückgekehrt.
Mit insgesamt 24 Medaillen – sechs Mal Gold, acht Mal Silber und zehn Mal Bronze – hat Deutschland die Erwartungen bei den Deaflympics in Tokio mehr als übertroffen und die beste Bilanz seit Melbourne 2005 hingelegt. Einmal Silber gab’s dabei für die Doppelpaarung Luca Steen/Niklas Köhler - während seines Studiums in Reutlingen bis 2024 für den TC Herrenberg spielend der eine, vom TSC Renningen zur TA SV Böblingen gewechselt der andere.
Niklas Köhler war 2019 schon einmal vom Deutschen Gehörlosenverband für einen internationalen Wettbewerb nominiert gewesen, konkret die Jugend-Weltmeisterschaft. Dafür müssen Athletinnen und Athleten einen Hörverlust von mindestens 55 Dezibel nachweisen, um für Deutschland starten zu dürfen. „Angeworben“ hatte den seit seinem achten Lebensjahr hörgeschädigten Warmbronner Heike Albrecht-Schröder (STK Garching, aktuell Nr. 25 der DTB-Rangliste Damen 30), die erfolgreichste noch aktive deutsche Deaflympics-Sportlerin mit bislang acht Medaillen, die Köhler damals als 16-Jähriger beim Tenniscamp am Gardasee kennengelernt hatte. Nun war er in Tokio dabei – und beeindruckt von allem, was er dort erleben durfte, ob aktiv auf dem Platz oder als Teil einer Delegation. Gleichwohl empfand er die offiziellen Zeremonien im Stadion in Anwesenheit des japanischen Kronprinzen lang und sich in den Reden wiederholend, später Autogramme geben zu dürfen und mit Fans für Selfies zu posieren als ungewohnt.
Wie Luca Steen kann auch Niklas Köhler dank Cochlea-Implantaten Gesprächen problemlos folgen und mit anderen kommunizieren. Tatsächlich war es für beide während der Reise nach Tokio diesmal ungewohnt, nun überwiegend von Menschen umgeben zu sein, die in Gebärdensprache kommunizierten. „Worte von den Lippen ablesen, das können wir beide, mit den Händen sprechen jedoch nicht“, erzählt Niklas Köhler. Auf dem Platz aber verstanden sich beide glänzend. „Wir haben gut harmoniert. Luca ist ein Bomben-Doppelspieler mit wahnsinnig viel Erfahrung. Er hat die Spielzüge immer angesagt, ich bin ihm dann einfach nur gefolgt. Und mit der Anwendung der ‚I-Formation‘, bei der sich beim Aufschlag der Netzspieler gebückt in der Mitte des Feldes positioniert und so der Druck auf den Returnspieler erhöht wird, sind wir auch gut klargekommen. Ich konnte da ganz entspannt mitspielen“, fühlte sich Köhler in seiner Rolle wohl. Komisch hingegen fühlte es sich für ihn manchmal an, vor nur spärlich gefüllten Zuschauerrängen im Ariake-Tennis-Park im Süden der Bucht von Tokio zu spielen. Hier wurden 2020 auch die Tenniswettbewerbe der Olympischen Sommerspiele ausgetragen, bei denen Alexander Zverev bekanntlich Gold gewann.
Nach einer leichten ersten Runde gegen eine chinesische Formation wartete für die beiden deutschen Cracks im Achtelfinale dann schon die erste große Herausforderung gegen die an 2 gesetzten Franzosen Samuel Cazaux/Mikael Laurent. Die Nerven hielten in beiden Tiebreaks stand. Das Halbfinale erreichten sie dann mit einem lockeren 6:0, 6:2 gegen Argentinien, dann war gegen England wieder langer Atem gefragt. Doch auch diese Hürde meisterten die beiden Deutschen mit 6:3, 6:7, 6:3 bravourös – und standen somit im Finale gegen die teilweise ITF-erfahrene russische Paarung Vladislav Abramov/Dmitry Dolzhenkov. Ihr mussten sie sich mit 2:6, 1:6 schließlich beugen (Dolzhenkov hatte sich zuvor bereits schon Gold im Einzel geholt). Dennoch: mit dieser „Außenseitermedaille“ hatte beim DGSV (Deutscher Gehörlosen-Sportverband mit Sitz in Köln) niemand gerechnet. Die zweite deutsche Paarung Cedric Kaufmann/Urs Breitenberger sicherte sich im Spiel um Platz 3 noch Bronze.
In den Einzeln waren Luca Steen (der nach Ende seines Studiums wieder zurück nach Norddeutschland gezogen ist) und Urs Breitenberger mit dem Erreichen der dritten Runde (und damit drei gewonnenen Runden) die besten männlichen deutschen Spieler. Niklas Köhler freute sich zudem über das Erreichen der zweiten Runde. Am Abschlusstag gab es nochmals Silber für Tennisspielerin Heike Albrecht-Schröder. Mit dabei in Tokio waren vom Gehörlosensportverband 67 Athletinnen und Athleten, darunter neben Tennis noch die Disziplinen Beachvolleyball, Bowling, Golf, Handball, Judo, Leichtathletik, Orientierungslauf, Radsport, Schwimmen, Sportschießen und Tischtennis. Mit insgesamt 24 Medaillen zog man am Ende die beste Bilanz seit Melbourne 2005.
Zum Abschluss: Drei Fragen an Niklas Köhler
WTB: Wie war das Gefühl als Württemberger die große Bühne in Tokio zu betreten?
Niklas Köhler: Die Deaflympics in Tokio waren meine erste Teilnahme, und ich bin froh und auch ein bisschen stolz, dass das Doppel-Debüt mit Luca so gut gelaufen ist. In so einem großen Stadion zu spielen war schon ein besonderes, aber auch ungewohntes Gefühl.
WTB: Was bedeutet Dir der Erfolg der Silbermedaille?
Niklas Köhler: Der wichtigste Moment für mich war der Sieg gegen Frankreich, die an Nummer zwei gesetzt waren. 7:6, 7:6, das war ein richtig starkes und spannendes Match, was super viel Spaß gemacht hat. Luca und ich haben gut harmoniert, er hat durch seine Erfahrung die Spielzüge angesagt und auf dem Platz die Führung übernommen.
WTB: Was hast Du dir für die Zukunft vorgenommen?
Niklas Köhler: Für mich heißt es jetzt einfach weitertrainieren wie immer. Und vielleicht ergibt sich irgendwann wieder die Chance, in so einem Stadion spielen zu dürfen.